Das, was wir heute über die Einwohner von Thugga vor der Romanisierung wissen, ist nicht besonders viel. Der frühere Siedlungsraum liegt weitgehend unter den römischen Resten verborgen. Dennoch gibt es sichtbare Reste vorrömischer Siedlung.
So finden sich im Norden der Stadt eine große Steinmauer, Dolmen (mit großen Steinen verschlossene Grabstätten) und unter dem Saturntempel ein älteres Baalheiligtum, am Forum Reste eines dem Massinissa geweihten Tempels, der 139 v. Chr. gestiftet worden sein soll (19), und südlich von der Stadt steht dominierend ein libysch-punisches Mausoleum vom Anfang des zweiten Jhdts. v. Chr. (20). An diesem Mausoleum war eine zweisprachige Inschrift angebracht, von der nur noch die Hälfte erhalten ist (21). Es werden darin verschiedene Handwerker genannt, die am Bau beteiligt waren (22).
Die Geschichte dieser Zeit ist geprägt von den Konflikten zwischen Karthago, Rom und den Numidern. Mit letzterem bezeichneten die Römer die Berber im Osten des Landes, Gaetuler waren die südlichen, Mauri die westlichen. Alle gehören jedoch dem gleichen Volksstamm an (23).
Die Punier, die in Afrika siedelten, blieben an der Küste. So gibt es keine punische Stadtgründung im inneren von Numidien. Dennoch übten sie auf die Numider einen gewissen Einfluß aus, da diese im Bereich der Architektur, Sprache und Verfassung phönikische Züge haben.
Obwohl die Numider ursprünglich ein nomadisierendes Volk waren, brauchten sie Siedlungen, die Markt und geistiges und religiösen Zentrum bildeten. Doch auch schon in karthagischer Zeit waren Berber im Bagradastal seßhaft. Die karth-agische Oberhoheit aber beutete das Land aus anstatt es aufzubauen. So erfolgte nach Aufständen und Kriegen der eigentliche Aufschwung in Numidien unter Massinissa.
Massinissa gab seinem Land den Frieden durch die Einigung der rivalisierenden Stämme und machte die Hirten zu Bauern. Er erweiterte sein Reich nach Osten mit Hilfe der Römer im 2. punischen Krieg. Durch den organisierten Ackerbau kam das Land zu großer Blüte. Hier liegen neben der Fruchtbarkeit des Bodens die Wurzeln für die spätere Kornkammer Italiens.
Diese Zivilisationsarbeit erfolgte unter Duldung der verbündeten Römer. Weitere Okkupationen führten dann zum 3. punischen Krieg, dessen Ende Massinissa nicht mehr miterlebte. Karthago wurde 146 dann endgültig zerstört, das Land zur senatorischen Provinz gemacht. Die Römer hatten Fuß gefaßt.
Nach Massinissa wurde das numidische Reich unter seine drei Söhne verteilt. Sein Neffe Jugurtha, von ähnlicher Persönlichkeit wie er selbst, verfolgte weiterhin das Ziel der Unabhängigkeit von Rom. Diese war damals Numidien aber nicht gewährt. 108 wurde Jugurtha geschlagen, und die Herrschaft ging an seinen gefügigen Nachfolger Gauda. Westliche Teile des Landes wurden mauretanische Teile abgezweigt.
Die endgültige Niederwerfung der nomadischen Volksteile ist den Römern dennoch nie gelungen. So bildeten diese immer einen Unsicherheitsfaktor im Süden des Landes, dem später durch Militärsiedlungen und Limes begegnet wurde. In dieser Zeit fingen auch die italischen Einwanderungen an, blieben aber im wesentlichen auf die Städte beschränkt.
Hatten die Numider das karthagische Siedlungs- und Städtewesen noch übernommen, so wurde dies in den Numidischen Städten in den Wirren der Zeit dennoch beibehalten. Einige Städte wurden auch zu Gauvororten numidischer Stämme, so auch Thugga (24). Auch als die Römer Einfluß auf die Städte nahmen, blieben noch eine Zeitlang Relikte der karthagischen Verwaltungsstruktur erhalten, so hielt sich in Thugga noch lange das Amt der Suffeten, zwei Verwaltungsbeamten, die erst viel später unter den Römern zu Duumviren wurden.
Caesar, mit dessen Rivalen Pompeius Juba, damals Herrscher über Numidien und genauso zielstrebig wie Jugurtha auf Freiheit aus, sich zu der Zeit verbündet hatte, siegte auch in dieser Gegend und löste Numidien als solches auf. Die planmäßige Zivilisierung und Latinisierung konnte beginnen.
Im folgenden gab es immer wieder Aufstände, die jedoch wenig Erfolg hatten. Außerdem wurde als Provinzstatthalter nicht mehr ein Eingeborener eingesetzt, um Unabhängigkeitsbestrebungen von vornherein auszuschließen. Numidien stellte inzwischen mehr als die Hälfte der gesamten Getreidezufuhr für Rom.
Seit Augustus nun war jeder Schatten von Selbständigkeit gewichen, das Durchgreifen des Aufschwungs war günstig beeinflußt. Nur noch an der Südgrenze gab es Einfälle der Getuler. Doch auch diese war bis zum Ende des 1. Jhdts. durch den Limes weitgehend beruhigt. Die Provinz also galt als befriedet und deshalb später als ein Teil des Imperiums mit dem größten Wohlstand.
Als aber die Reichsgewalt im 3. Jhdt. zusammenbrach, griffen die Aufstände von Mauretanien wieder auf Numidien über. Wie in der ganzen römischen Welt, so begannen auch in Afrika Unruhen.
Thugga war von alledem eher peripher betroffen. Die vorhandene Siedlungsstruktur blieb unverändert. Als Caesar Karthago neu gründete und die entstandene Colonia mit Territorium ausstattete, kam auch das Gebiet von Thugga dazu und war so abhängig von Karthago.
Neu angesiedelte Römer waren deshalb rechtlich Bürger Karthagos, die Gemeinde war verwaltungstechnisch als Pagus eingegliedert. Die vorhandene einheimische Bevölkerung bildete analog die Civitas mit peregrinem Recht. Dieser Dualismus schlägt sich auch in der Epigraphie nieder. Es gibt sogar die Vermutung, daß die Civitas in Thugga sogar ihren eigenen Versammlungsort hatte (25). In der Anfangszeit war die Civitas noch weitgehend administrativ selbständig.
Die Romanisierung erfolgte in Thugga nicht zwangsweise. Keine Veteranen wurden angesiedelt. Kein neuer Stadtplan nach Römerart wurde entworfen, die alte Siedlung zu überbauen. Vielmehr strebten die einheimischen Einwohner selbst danach, römische Bürger zu werden. Verband sich doch damit ein rechtlicher und auch wirtschaftlicher Aufstieg.
So hatten manche Kaiser durchaus die Bereitschaft, solchen Rechtsstatus zu verleihen, hinreichende Romanisierung einer Stadt vorausgesetzt. Das zeigt auch die Epigraphie Thuggas mit dem rechtlichen Werdegang der Stadt: So waren Pagus und Civitas spätestens 205 zum Municipium verschmolzen, die Verwaltung entsprach der Roms, alle freien Bürger erhielten die röm. Saatsbürgerschaft. Auf diese Erhebung wurde der Triumphbogen zu Ehren des Septimus Severus im Südosten der Stadt errichtet. Schon 261 erfolgte die Umwandlung in die Colonia Licinia Septimia Aurelia Alexandriana Thuggensis unter Gallienus.
Aber auch schon in der Zeit der Trennung von Civitas und Pagus wurden verschiedene Privilegien verliehen, die oft den wirtschaftlichen Aufschwung begünstigten. So ist vielfach an eine steuerliche Vergünstigung zu denken.
Auch wirtschaftlich entwickelte sich die Landschaft unter römischer Herrschaft. Durch verbesserte Nutzung vorhandener Agrarflächen und Erschließung durch ein ausgeklügeltes Bewässerungs- und Vermessungssystem, durch den Ausbau des Straßennetzes und damit auch des Handels erreichte es einen Zustand, der auch heute noch seine Spuren hinterläßt, es sei nur an die Centuriation erinnert, nach deren Schema noch mancher Landstrich aufgeteilt ist (26).
Der verstärkte Einfluß des Christentums im Imperium war auch in Nordafrika faßbar. Hatte Kaiser Konstantin I. schon das Christentum toleriert und nicht verfolgt wie vor ihm Diokletian oder Decius und andere, so wurde es zur Staatsreligion unter Theodosius. Ein Versuch der Wiederbelebung römischer Religion unter Julian davor blieb erfolglos.
Hatten die einheimischen Numider unter Karthago mit Baal und Tanit fremde Kulte übernommen und sich zu eigen gemacht, so war das unter römischer Herrschaft nicht anders. Da die Römer schon von sich aus tolerant gegenüber fremden Kulten waren Ðman denke nur an die vielen importierten Kulte in RomÐ, fiel es ihnen in Nordafrika nicht schwer, die Baal-Heiligtümer in Kultorte für Saturn umzuwandeln und die der Tanit in den der Juno-Caelestis. Dieser Übergang zeigt sich auch in Thugga. Ist doch unter dem erhaltenen Saturntempel ein viel älteres Baalheiligtum nachzuweisen.
Das Christentum fand aber auch in Afrika Verbreitung. Bedeutung gewann es aber nicht vor dem 4. Jhdt. So wurden noch im 3. Jhdt viele Tempel erbaut. Später wurden diese manchmal in christliche Kirchen umgewandelt, aber das ist in Thugga offensichtlich nicht der Fall gewesen, da solche Spuren dort schwer nachzuweisen sind. Auch ist in Thugga bis jetzt keine Basilika gefunden worden wie in anderen Städten. Allerdings gibt es nahe des Saturntempels Reste einer Kirche, die vermutlich zu Ehren einer Martyrerin errichtet wurde (27). Man vermutet ihre Bauzeit Ende des 4. Jhdts.
Obwohl christliche Epigraphie in Thugga spärlich ist, so gibt es sie doch. Man hatte vermutet, daß Thugga eine heidnische Stadt geblieben war. Aber schon 256 wird ein Bischof von Thugga beim Konzil von Karthago erwähnt. Unklar ist allerdings, um welches Thugga es sich hier handelt, da es auch ein Tucca an der Grenze zu Mauretanien gibt (28).
Ähnlich verhält es sich auch mit der Nennung eines donatischen Bischofs aus Thugga auf dem Konzil von Karthago im Jahre 411. Die Abspaltung der Donatisten hatte ihre Wurzeln in der Bewertung der Traditores, die in der diokletianischen Verfolgung die Heilige Schrift an die heidnischen Behörden ausgeliefert hatten. Relevanz bekam die Frage, als sie mit der Meinung nordafrikanischer Theologen verknüpft wurde, daß die Gültigkeit eines Sakraments vom Gnadenstand des Spenders abhinge. Persönliche Differenzen führten dann endgültig zur Spaltung, die vornehmlich in Afrika spürbar wurde. Auf besagtem Konzil sollten nun die theologische Seite der Spaltung und ihre Grundlagen ausdiskutiert werden, wobei Augustinus die donatische Lehre widerlegen konnte (29).
Es ist nicht sicher, ob die Vandalen, als sie unter Geiserich Mitte des fünften Jahrhunderts in Afrika einfielen, auch in Thugga vorbeigeschaut haben. Die Fakten sprechen eher dagegen. So geht keine Zerstörung in der Stadt nachweislich auf sie zurück, auch liegt die Stadt nicht direkt an der Heerstraße. Eine mögliche Auswirkung ist wohl der Niedergang der römischen Organisationsstruktur gewesen, die sich in der Verwaltung gezeigt hat. War schon vorher der wirtschaftliche Niedergang spürbar, so wird er wohl in dieser Zeit gänzlich seinen Höhepunkt erreicht haben.
War 395 das römische Reich schon in West- und Osthälfte geteilt worden, so ging das Westreich langsam aber sicher der Auflösung entgegen, war es doch unter schnell wechselnden Kaisern nicht gerüstet, gegen die einfallenden Westgoten und Vandalen dauerhaft standzuhalten. An eine effiziente Provinzverwaltung war deshalb schon lange nicht mehr zu denken.
Geiserich war seit 439 unumschränkter Herr in Afrika mit Karthago als Zentrum. Seine Macht hielt sich, solange er lebte. Danach zersetzte sich das Reich innerlich.
Deshalb wurde später von den Byzantinern unter Justinian 533 durch Belisar Nordafrika wieder zurückerobert. Zur Sicherung gegen die aufständische Bevölkerung wurden anschließend Festungen im weitverzweigten Netz aufgebaut, in Thuggam (30) wurden dazu die noch stehenden römischen Bauten und Häuser als Steinbruch verwendet (31). So findet sich in der noch erhaltenen Festungsmauer so manches Steinfries mit Inschriften, das Licht auf die römischen Bauten wirft.
Die Festungsanlage war nicht besonders groß, lag mitten in der Stadt und umfaßte das Forum und Capitol. Sie wird wohl hauptsächlich den Bedürfnissen der lokalen Bewohner zum Schutz gegen umherziehende Plünderer gedient haben, weniger zur Überwachung des Gebietes.
Trotzdem ist das städtische Leben nun gänzlich erloschen, dennoch sind die restlichen Gebäude weiter bewohnt. Kein weiteres Gebäude wird errichtet, keines wird renoviert. Alles wird dem weiteren Verfall überlassen.
An diesem Zustand hat sich nichts geändert, als die Araber im 7. Jhdt ihre Herrschaft auch auf dieses Gebiet ausbreiteten. Das Gebiet war weiterhin bewohnt. Im 8. Jhdt. wurde an der Südecke der Festung eine kleine Badanlage geschaffen. Es fanden sich dort Reste von emaillierten Scherben. Die Aghlabiten, die in Kairouan residierten, werden wohl ihren Einfluß auf die Bewohner ausgeübt haben.
In diese Zeit, wenn nicht in die byzantinische, fällt auch der Bau der Mauer, die sich vom Forum nach Norden erstreckt. Eindeutig bestimmbar ist aber der Zeitpunkt sicherlich nicht.
Der Verfall aber konnte ungehindert weitergehen. Nur einige Zisternen wurden weiterhin genutzt. Hütten aus Trockenstein, nach dem Verfall der alten erneut errichtet, trugen mit den Vorgängen des sich ungehindert ausbreitenden Bewuchses zur Überdeckung weiter Teile der Stadt bei. Später wurden auch Olivenbaumkulturen angepflanzt.
Nach der Vertreibung der Muselmanen aus Spanien haben sich in der Gegend von Teboursouk wohl einige von ihnen niedergelassen. In einer Zisterne beim Saturntempel in Thugga wurde auch ein kleiner spanischer Silbermünzschatz gefunden.
Aber noch in diesem Jahrhundert war der Kern der Stadt noch besiedelt. So ist der anonyme Tempel im Südwesten vormals Dar-El-Acheb genannt worden, was soviel heißt wie Haus des Acheb. Dort hatte nämlich die Familie dieses Mannes gehaust.
Ebenso wurde nach dem Krieg für weitere Ausgrabungen und zum Schutz der Ruinen das kleine Dorf auf die andere Seite des Hügels umgesiedelt, welches heute das neue Dougga ist.
Allein die Erhaltung des ursprünglichen Ortsnamens weist auf eine fast lückenlose Besiedlung des Gebietes seit Ende der römischen Herrschaft hin. Bei vielen anderen Römerstädten in Nordafrika ist der römische Name in Vergessenheit geraten und die Ortschaft anders benannt worden, in Thugga nicht.
(18) Zur Ausbreitung Numidiens in den verschiedenen Phasen siehe die Landkarte. Zu den weiter ausholenden Teilen der Geschichte Numidiens und seiner Entwicklung siehe auch RE XVII 2 (1937) 1343-1397 s.v. Numidia (Windberg)
(19) St. Gsell, Histoire ancienne de l'Afrique du Nord VI (1929), 96. Nach F. Rakob, Numidische Königsarchitektur in Nordafrika, in: H.G. Horn - C.B. Rüger (Hg.), Die Numider (1979), 156f ist dieses Gebäude nicht weiter lokalisierbar. Cl. Poinssot, Les Ruines de Dougga2 (1983), 9 vermutet den Tempel in die Nähe des Forums.
(20) Rakob, a.O.
(21) 1842 wurde die Inschrift von Sir Thomas Read gewaltsam entfernt und nach London gebracht, wo sie nach seinem Tod ins Britische Museum kam, wo sie noch heute ist. Sie diente zur Entzifferung der libyschen Schriftzeichen. Daß es eine zweite Hälfte gegeben haben muß, geht aus den Notizen von Camille Borgia von 1815 hervor. Vgl. Cl. Poinssot - W. Salomonson, CRAI 1959, 141ff
(22) Eine Übersetzung findet sich in: H.G. Horn - C.B. Rüger (Hg.), Die Numider (1979), 577
(23) RE a.O. 1347
(24) D. Hafemann, Historische Geographie - Nordafrika, Afrika-Kartenwerk Beiheft N15 (1981), S. 61
(25) Cl. Poinssot, in: R. Chevallier (Hg.), Mélanges d'arch. et d'hist. offerts à A. Piganiol III (1966) 1267
(26) D. Hafemann, Historische Geographie - Nordafrika, Afrika-Kartenwerk Beiheft N15 (1981), S. 55f
(27) Genaueres über die Ausgrabungen bei der Kirche finden sich bei L. Poinssot - R. Lantier, Rev. Archéol. XXII (1925) 228-247
(28) P. Monceaux, BAParis 1908, 87f
(29) Zu den Donatisten und Konzil von Karthago ausführlich K. Baus, Handbuch der Kirchengeschichte I (1965) 462f., II (1979) 162f
(30) Procop. de aedif. VI 5. s. a. Abschnitt Grunddaten - Literatur
(31) Cl. Poinssot, Les rouines de Dougga2 (1983), 15
Abb. 2: Karte Numidiens und die verschiedenen Ausdehnungen
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